Partnerschaften bringen mehr als ideologische Grabenkämpfe

Partnerschaften bringen mehr als ideologische Grabenkämpfe

Interview mit Dr. Philipp Aerni, Direktor des Zentrums für Unternehmensverantwortung und Nachhaltigkeit (CCRS) der Universität Zürich.

Herr Aerni, Sie forschen zur Unternehmensverantwortung und Entwicklungshilfe. Wie beurteilen Sie die Rolle von multinationalen Firmen in Entwicklungsländern?

In unserer Forschung interessiert uns primär welche in der Schweiz beheimateten multinationalen Firmen zu inklusivem Wachstum und der Schaffung von anständigen Arbeitsplätzen in Entwicklungsländern beitragen und welche dies nicht tun. Dabei untersuchen wir die Frage, was Schweizer Investitionen den Leuten in der jeweiligen Region konkret bringen. Haben sie sich für eine langfristige Strategie der prinzipienorientierten Einbettung in die lokale Wirtschaft und Gesellschaft entschieden, oder sind es bloss Offshore-Inseln der Schweiz, die alles importieren, was sie brauchen um danach alles zu exportieren? Das erste wäre ein konkreter Beitrag zu inklusivem Wachstum und somit zum wichtigen UNO Nachhaltigkeitsziel 8, das zweite wäre exklusives Wachstum, denn die lokalen Leute profitieren kaum davon. Unsere Entwicklungsorganisationen können einen wesentlichen Beitrag zu mehr Einbettung leisten, indem Firmen aktiv dabei unterstützt werden.

Dann haben wir aus Ihrer Sicht eine falsche Optik, wenn wir die Multis vor allem als ausbeuterische Firmen in den Entwicklungsländern sehen?

Ich halte Multis für ausbeuterisch, wenn ihnen die Leute und das Umfeld in den Regionen, wo sie investieren egal sind, weil sie nicht als relevante Stakeholders (Anspruchsgruppen) anerkannt werden. Viele Multis investieren allerdings auch in die lokale Wirtschaft und somit kann ihnen die lokale Bevölkerung nicht mehr egal sein.  Wir müssen also differenzieren. Die Diskussion, die wir hier in der Schweiz führen ist insofern problematisch, dass es eigentlich nur um uns geht. Unsere guten NGOs schützen die lokalen Leute vor unseren bösen Multis. In dieser Heldengeschichte spielen die lokalen Leute nur eine passive Opferrolle. Doch warum lassen wir sie nicht ihre eigenen Geschichten erzählen und können nicht anerkennen, dass die effektivsten Lösungen in der Armutsbekämpfung meistens von Ihnen selbst kommen, weil sie ja den lokalen Kontext und die Bedürfnisse der Leute besser kennen als wir? In der Prioritätenliste der lokalen Bevölkerung stehen zweifellos der Zugang zu guten Jobs, Know-how und Investitionen an vorderster Stelle. Eingebettete Schweizer Firmen generieren genau diesen Zugang, doch sie kommunizieren dies kaum in der Diskussion, weil es ja Teil der Geschäftsentwicklungsstrategie ist und somit nicht der Sparte CSR/Nachhaltigkeit zugeordnet wird.

Die Initianten bringen UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte ins Spiel. Diese zeigten, dass die internationale Gemeinschaft mehr wolle als freiwillige Selbstverpflichtung zu sozialer Unternehmensverantwortung. Was sagen Sie?

Die UNO Leitprinzipien fokussieren sich lediglich auf die Forderung ‘do no harm’, also auf Schadensbegrenzung. Sie ignorieren jedoch, dass eine lokal eingebettete und prinzipienorientierte Firma sehr wohl auch den Zugang zu essentiellen Menschenrechten verbessern kann und zwar durch die Integration der lokalen Wirtschaft in überregionale oder gar internationale Wertschöpfungsketten. In diesen Wertschöpfungsketten gelten strikte Umwelt- und Sozialstandards und die Löhne sind anständiger als im informellen Sektor. Auch lokale Firmen, die von den Multis als Zulieferer rekrutiert werden, müssen solche Standards erfüllen. Sie werden durch diese Integration in die globale Produktion zu einem Teil der formalen Wirtschaft und können ein Mehrfaches an Umsatz generieren und in bestehende und neue Arbeitskräfte investieren Das kann katalytische Effekte für die lokale Wirtschaft haben, denn diese wachsenden lokalen Firmen werden auch Aufträge an weitere lokale Firmen vergeben. Dadurch kann eine Erneuerung des lokalen Wirtschaftssystems stattfinden, das dank strikteren Standards menschen- und umweltfreundlicher ist. Kurzum: ja, es gibt in diesen Ländern viel Kinderarbeit und andere Menschenrechtsverletzungen, aber sind die Multis wirklich das Hauptproblem? Tatsache ist, dass die Armut und nicht der Wohlstand der Hauptfeind der Nachhaltigkeit in diesen Ländern ist und wenn Multis in die lokale Wirtschaft investieren reduzieren sie die Armut langfristig und können somit Teil der Lösung sein.

Laut den Initianten hinkt die Schweiz im internationalen Vergleich hintennach, wenn es darum geht, Konzerne zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltauflagen zu verpflichten. Wie sehen Sie das?

Es gibt bereits zahlreiche Möglichkeiten in der Schweiz beheimatete Multis für Vergehen in Entwicklungsländern in der Schweiz einzuklagen. Es gilt die Geschäftsherrenhaftung und die wirkt bekanntlich. Kürzlich musste eine Rohstofffirma in Genf eine Millionenbusse wegen Korruptionsförderung in einem Entwicklungsland bezahlen und derzeit läuft eine Klage gegen ein Schweizer Agrarunternehmen bezüglich ungenügenden Vorsorgemassnahmen in der Verwendung ihres Produkts. Ausserdem hat die Schweiz über die Schaffung von Nationalen Kontaktpunkten. die OECD Leitsätze für Unternehmensverantwortung erfolgreich umgesetzt. Über diese Kontaktpunkte können vermeintliche Verletzungen dieser Leitsätze untersucht und gemeinsam nach Lösungen gesucht werden. Obwohl ich kein Spezialist auf dem Gebiet des vergleichenden Rechts bin, stelle ich dennoch fest, dass dieses Wettlaufen um höhere und rechtlich verpflichtende Sorgfaltspflichten auch am Ziel vorbeischiessen könnte. Damit lassen sich vielleicht viele gut bezahlte Jobs in Schweizer Firmen schaffen, die für die ohnehin bereits aufgeblähten Compliance und Due Diligence Abteilungen arbeiten. Aber die Schaffung von anständigen Arbeitsplätzen in den Entwicklungsländern selbst wird damit kaum begünstigt. Die Verrechtlichung der Sorgfaltspflichten begünstigt auch keineswegs die unternehmerische Eigenverantwortung, sondern führt lediglich zu deren Delegation an irgendwelche Spezialisten mit der Konsequenz, dass lokalen Firmen und Arbeitnehmer in Entwicklungsländern bloss noch als ‘Risiko’ und nicht mehr als Chance wahrgenommen und untersucht werden.

Was passiert mit den Firmen in Risikoländern sollte die Initiative angenommen werden?

In letzter Konsequenz wird man sich nicht mehr bloss bemühen das Risiko bei lokalen Zulieferern zu minimieren sondern es ganz zu ‘eliminieren’. Denn wozu lokale Firmen rekrutieren, wenn es internationale Contractors gibt, die besser vertraut sind mit unseren Standards und zuverlässiger in der konsequenten Ausführung? Die übernehmen gerne die Aufträge, die zuvor an lokale vergeben wurden. Somit bestärkt die Annahme der Initiative mit grösster Wahrscheinlichkeit die Schaffung von Schweizer Offshore-Inseln. Alles kommt ja dann von uns und ist bestimmt für uns. Swissness sollte jedoch nicht auf Kosten der Armen gehen, denn sonst fördern wir das exklusive und nicht das inklusive Wachstum. Die Behauptung, dass Schweizer Firmen, die sich sowieso verantwortungsvoll verhielten auch nichts zu befürchten hätten, bezweifle ich sehr, denn auch sie können ein Restrisiko gerade in den ärmsten Ländern nie 100% ausschliessen. Mit der Umkehrung der Beweislast, werden auch die verantwortungsvollen Firmen ihre Investitionen in diesen Ländern zunehmend als Reputationsrisiko einstufen, denn allzu oft genügt der Verdacht allein um in der Öffentlichkeit in Ungnade zu fallen.

Was würden Sie anders als die Initiative tun?

Wenn es den Initianten Ernst wäre mit der Verbesserung der Nachhaltigkeit und der Menschenrechtslage in den ärmsten Ländern, würden sie auf eine Partnerschaft setzen mit den Schweizer Firmen, die dort langfristig investieren; denn solche Partnerschaften erleichtern die verantwortungsvolle und prinzipienorientierte Einbettung. Meine Feldforschung als Geograph und Agrarökonom in Guatemala, Mexiko, Kolumbien, den Philippinen, Südafrika, Zambia, Kenya, Brasilien und Äthiopien hat gezeigt, dass Partnerschaften den lokalen Leuten mehr bringen als ideologische Grabenkämpfe. Eine Initiative, die alle Schweizer Akteure zu verantwortungsvollem Verhalten in Entwicklungsländer verpflichtet, würde ich generell befürworten, denn Missbräuche passieren bei weitem nicht nur im Privatsektor. Überall, wo ein Machtgefälle besteht, gibt es auch Missbräuche.

Treten Sie dem NEIN-Komitee bei

Die IHZ engagiert sich gegen die UVI und organisiert die Kampagne im Kanton Luzern. Ergänzend zur nationalen Kampagne hat die IHZ das «Luzerner Komitee NEIN zur UVI» gegründet. Ihm gehören führende Exponentinnen und Exponenten von CVP, FDP und SVP an. Ebenso im Co-Präsidium vertreten sind wichtige Unternehmerinnen und Unternehmer aus dem ganzen Kanton Luzern. Zudem besteht ein lokales Unterwaldner Komitee (Ob- und Nidwalden). Beide klären die Stimmberechtigten mit diversen Aktivitäten über die Risiken und Nebenwirkungen auf, die bei einem Ja drohen. Die Komitees unterstützen den indirekten Gegenvorschlag von Bundesrat und Parlament, der bei einem Nein automatisch in Kraft tritt und wirtschaftsverträglich ist.

Die Komitees rufen die Bevölkerung auf, sich gegen die Initiative einzusetzen und gemeinsam für ein Nein am 29. November 2020 einzustehen. Treten sie jetzt bei.

 

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