Rechtliche Aspekte zur Impffrage

Rechtliche Aspekte zur Impffrage

Raffael Steger (Rechtsanwalt, Kaufmann Rüedi Rechtsanwälte AG) sowie Prof. Dr. Bernhard Rütsche (Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie, Universität Luzern) beantworten die dringlichsten Fragen.

Fragen rund um das Thema «Impfen» bewegen aktuell die Schweiz. Aus diesem Grund hat die Industrie- und Handelskammer Zentralschweiz IHZ die häufigsten und dringendsten Fragestellungen in einem Interview mit Raffael Steger (Rechtsanwalt, Kaufmann Rüedi Rechtsanwälte AG) sowie Prof. Dr. Bernhard Rütsche (Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie, Universität Luzern) geklärt. (Raffael Steger = RS; Bernhard Rütsche = BR)

Herr Steger, wie ist eine Impfung rechtlich einzuordnen?
RS: Die Impfung stellt einen schweren Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Betroffenen dar. Die körperliche Unversehrtheit ist ein verfassungsmässig geschütztes Grundrecht. Daher muss immer die Zustimmung des Betroffenen vorliegen. Ausnahmsweise dürfen Grundrechte eingeschränkt werden. Dies aber nur, wenn der schwere Eingriff in die Grundrechte eine gesetzliche Grundlage hat, die den Eingriff ausdrücklich vorsieht, und der Eingriff zudem verhältnismässig ist.

Inwiefern darf ein Unternehmen von seinen Angestellten eine Impfung verlangen oder sie sogar dazu zwingen?
RS: Der Arbeitgeber kann die Angestellten nicht zur Impfung zwingen. Ausgeschlossen ist daher, dass der Arbeitgeber einen Angestellten unter Zwang impfen lassen könnte.
In ganz speziellen Situationen kann er aber von seinem arbeitsrechtlichen Weisungsrecht Gebrauch machen und verlangen, dass nur mit einer spezifischen Impfung die Arbeitstätigkeit ausgeübt werden darf. Zu denken ist an Personen, welche im Gesundheitswesen tätig sind und regelmässig und mehrheitlich Personen betreuen, die besonders anfällig auf Krankheiten sind. Ein generelles Impfobligatorium für alle Angestellten, beispielsweise im Spital, kann der Arbeitgeber hingegen nicht verlangen. Bei der Ausübung des Weisungsrechts sind aber auch die Interessen des Angestellten zu berücksichtigen und die Impfung muss verhältnismässig sein. Mit anderen Worten wird zu prüfen sein, ob nicht andere Massnahmen gleichwertig oder geeigneter sind und ob die Impfung die notwendige Schutzwirkung (Eigen- und/oder Drittschutz) entfaltet und sie auch sicher ist.


Gerade bei Tätigkeiten mit vulnerablen Personen ist es denkbar, dass der Arbeitgeber verlangen kann, dass der Angestellte geimpft ist (bspw. Hepatitis-B-Impfung). In solchen Fällen kann dies auch als Bedingung für einen Vertragsabschluss vereinbart werden.

Welche Konsequenzen könnten Arbeitnehmenden drohen, wenn Sie eine Impfung verweigern?
RS: Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, wird der Arbeitgeber nur in ganz speziellen Konstellationen von seinem Weisungsrecht Gebrauch machen können. Kommt der Angestellte der Weisung nicht nach, verletzt er seine arbeitsrechtlichen Pflichten. Dies kann arbeitsrechtliche Konsequenzen (Versetzung, Dahinfallen des Lohnanspruchs, Kündigung, Arbeitnehmerhaftung) nach sich ziehen.

Welche Konsequenzen drohen Unternehmen, wenn sie ihre Arbeitnehmenden trotzdem dazu drängen?
RS: Neben einem Reputationsschaden kann sich aus arbeitsrechtlicher Sicht die Frage stellen, ob eine Kündigung wegen trotz Druckversuch verweigerter Impfung als missbräuchlich zu qualifizieren ist, denn dann droht eine Poenale in Höhe von bis zu 06 Monatslöhnen.

Muss sich ein Angestellter impfen lassen, der Corona bereits auskuriert hat?
RS: Unklar scheint im Moment, ob sich Genesene wieder infizieren können und ob auch Geimpfte das Virus dennoch weiterverbreiten können. Ohne sichere Kenntnis darüber, ist eine Beurteilung nicht möglich.

Inwiefern ist es Fluggesellschaften, Eventveranstalter, Restaurants oder anderen Dienstleister rechtlich gestattet, eine Impfpflicht durchsetzen zur Benützung ihrer Dienstleistungen?
RS: Aufgrund ihrer Vertragsfreiheit können private Unternehmen grundsätzlich festlegen, dass sie ihre Dienstleistungen nur an Geimpfte erbringen. In gewissen Bereichen der Grundversorgung verpflichtet das Gesetz jedoch Private dazu, ihre Dienstleistungen für jedermann anzubieten. So etwa im öffentlichen Personenverkehr auf der Strasse und Schiene oder in der Spitalversorgung. Darüber hinaus kann eine Pflicht zum Vertragsabschluss unter gewissen Voraussetzungen aus allgemeinen Prinzipien des Privatrechts abgeleitet werden. Im Zusammenhang mit der Impffrage wird dies jedoch schwierig sein. Denn Unternehmen werden gegen eine Vertragsabschlusspflicht argumentieren können, dass die Verweigerung der Dienstleistung an Geimpfte notwendig ist, um das eigene Personal und andere Kunden zu schützen.

Herr Rütsche, inwiefern und auf welchen rechtlichen Grundlagen ist ein Impf-Obligatorium in der Schweiz denkbar?
BR: Das Epidemiengesetz ermächtigt die Kantone, bei erheblicher Gefahr für die öffentliche Gesundheit Impfungen für bestimmte Personengruppen wie Gesundheitspersonal oder Risikogruppen für obligatorisch zu erklären. In besonderen und ausserordentlichen Lagen, wie sie in der Corona-Pandemie gegeben waren, kann der Bundesrat ein Impfobligatorium beschliessen. Impfobligatorien ist ultima ratio und im Sinne der Verhältnismässigkeit nur zulässig, wenn klar ist, dass das freiwillige Impfen für die Bekämpfung der Pandemie nicht ausreicht. Eine Durchsetzung von Impfobligatorien mit polizeilichem Zwang oder Bussandrohung, d.h. ein sog. Impfzwang, ist auf jeden Fall unzulässig. Möglich ist aber die Durchsetzung mittels Ersatzmassnahmen wie einer Verweigerung des Zugangs zu öffentlichen Leistungen oder einer Einschränkung beruflicher Tätigkeiten. Letzteres wäre aber gerade in der aktuellen Situation kontraproduktiv und kaum durchsetzbar. Denn von solchen Einschränkungen am ehesten betroffen wären die Beschäftigten in Spitälern und Pflegeeinrichtungen, die ohnehin von einem massiven Personalmangel betroffen sind.

Ist ein digitaler Impfausweis datenschutztechnisch rechtens und wenn ja, inwiefern wäre eine digitale Ausweispflicht rechtlich durchsetzbar?
BR: Die Erstellung eines digitalen Impfausweises ist mit Einwilligung der betroffenen Person rechtens. Unzulässig wäre es aber, die erhobenen Impfdaten in nicht anonymisierter Form ohne Wissen und Zustimmung der Geimpften an Dritte weiterzugeben. Die Geimpften haben somit die ausschliessliche Herrschaft über die eigenen Impfdaten. Dennoch wäre es privaten Unternehmen dank ihrer Vertragsfreiheit grundsätzlich unbenommen, die Inanspruchnahme ihrer Dienstleistungen von der Vorlage eines digitalen Impfausweises abhängig zu machen. Denn auch in solchen Fällen bleibt die Bekanntgabe der Impfdaten freiwillig. Eine Ausnahme bilden jene Bereiche, in denen Unternehmen aufgrund des Gesetzes oder allgemeiner Prinzipien des Privatrechts verpflichtet sind, ihre Dienstleistungen der ganzen Bevölkerung anzubieten.

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