
Zentralinfo 02/2024 «Leistung»: Editorial von IHZ-Direktor Adrian Derungs
Leistungsbereitschaft statt Leistungsbezug!
Die Bedeutung von Leistung ist in der Wirtschaft offensichtlich. Ohne Leistung gibt es keine Produktion von Waren oder Dienstleistungen, keine Wertschöpfung und keinen Wohlstand. Trotz dieser Binsenwahrheit hat sich die Deutung des Begriffes markant verändert.
So formulierte der deutsche Soziologe Max Weber zu Beginn des 20. Jahrhunderts seine Theorie der protestantischen Ethik. Sie stellte dem Kapitalismus «nüchterne, gewissenhafte, ungemein arbeitsfähige und an der Arbeit als gottgewolltem Lebenszweck klebende Arbeiter zur Verfügung». Während in Webers Ethik die Menschen lebten, um zu arbeiten, haben viele Menschen in unseren Breitengraden Mühe, einen Lebenssinn in der Arbeit zu finden – sei dieser nun gottgewollt oder irdisch motiviert. Eher verlieren wir uns in der grundsätzlichen Sinnfrage. Gleichzeitig wird der Wunsch nach Leistungsbezug stärker als der Drang, Leistung zu erbringen. Ein Phänomen, das zunehmend sichtbar wird und Fragen über den Zustand unserer Gesellschaft aufwirft.
Der Ausbau des Leistungsbezugs ist im modernen Sozialstaat Programm. Aus ursprünglichen Schutzrechten vor staatlichen Übergriffen wurden Anspruchsrechte. Selbstverständlich und akzeptiert. So entfallen mittlerweile 60 Prozent der Bundesausgaben auf Subventionen, rund 50 Milliarden Franken jährlich. Diese fliessen z.B. als Direktzahlungen an die Landwirtschaft, in humanitäre Aktionen, an multilaterale Organisationen oder in die Förderung der Ausbildung junger Auslandschweizer – dies nur eine kleine Auswahl aus der langen Liste. Aber auch aus dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens der EMRK wurde jüngst ein Leistungsanspruch auf staatlichen Klimaschutz abgeleitet. Zudem fördern Social-Media-Plattformen im Privatbereich eine Kultur des passiven Konsums mit drögem wischen und klicken - dies oft zu Lasten eines aktiven Engagements in einem Sport- oder Musikverein. Wir wählen den Weg des geringsten Widerstands.
So untergräbt sinkende Leistungsbereitschaft den Wert von Arbeit und führt zu einem Mangel an Innovation und Kreativität. Wir verlieren die Fähigkeit, Probleme zu lösen und Fortschritte zu erzielen. Deshalb müssen wir unsere Wahrnehmung von Leistung überdenken. Leistung erfordert Anstrengung, Ausdauer und Willen, sich Herausforderungen zu stellen, auch wenn der Weg steinig und riskant ist. Man mag einwenden, dass in einer Wohlstandsgesellschaft dieser Drang per Definition eingeschläfert wird. Wer alles hat, braucht sich nicht mehr anzustrengen, sondern verwaltet und konserviert seinen Besitz. Vielleicht hilft Demut und die Erinnerung, dass es ein Privileg ist, in einer Gesellschaft zu leben, in der wir die Wahlfreiheit haben, welche Art der Leistung wir erbringen.
Fördern wir eine Kultur, die Leistung und Engagement wieder belohnt. Denn Leistung steht am Ursprung von Fortschritt, Innovation und Wohlstand in unserer Gesellschaft.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine grosse Portion Leistungsbereitschaft!