Zentralinfo 03/2024 «Bildungsdschungel»: Editorial von IHZ-Direktor Adrian Derungs

Zentralinfo 03/2024 «Bildungsdschungel»: Editorial von IHZ-Direktor Adrian Derungs

Der bekannte Bildungsreformer Wilhelm von Humboldt prägte im deutschsprachigen Raum den Bildungsbegriff. Er definierte – stark vereinfacht – das Konzept der Bildung als die Gesamtheit der Fähigkeiten und Eigenschaften einer Persönlichkeit. Bildung ist jedoch kein Selbstzweck zur Förderung von gebildeten Menschen. Ein hochwertiges Bildungssystem ist ebenso ein Kernelement der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Schweiz und ein wichtiger Erfolgsfaktor, indem es qualifizierte und anpassungsfähige Arbeitskräfte garantiert.

Diesbezüglich haben sich die Anforderungen in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend verändert, weitere Veränderungen zeichnen sich ab. Mit Blick auf die Bildung sind dabei zwei Elemente zentral. Einerseits die radikale Unvorhersehbarkeit, wie sich die Welt in den kommenden 20 bis 30 Jahren entwickeln wird, andererseits die massive Informationsflut, mit der wir konfrontiert sind.

Die Unvorhersehbarkeit erodiert das bisherige Bildungs-, Lebens- und Arbeitsmodell. Bis anhin erlernten wir in einer ersten Lebensphase Fertigkeiten, bauten eine Identität und unser Weltbild auf. In der zweiten Lebensphase durften wir auf die erlernten Fähigkeiten vertrauen und verdienten damit mit feinen Anpassungen und Entwicklungen unseren Lebensunterhalt. Diese Kontinuität ist heute nicht mehr im selben Mass vorhanden. Wir sind zunehmend gezwungen, die erste Lebensphase bis ins hohe Alter fortzusetzen. Das führt zu Abwehrhaltungen, denn die Investitionen in die Fertigkeiten und unsere Identität sind wertvoll. Davon abzulassen und Raum für neue Fähigkeiten zu schaffen, erfordert viel Energie, Zeit und Ressourcen. Bildung muss demnach früh die Fähigkeit und die Freude vermitteln, dass wir uns immer wieder neu erfinden und bis ins hohe Alter lernen können und müssen.

Andererseits führt die erwähnte Informationsflut dazu, dass im Bildungsbereich die reine Informationsvermittlung zunehmend obsolet wird. Früher waren Informationen ein rares und steuerbares Gut. Daher war Informationsvermittlung wert- und sinnvoll. Heute sind Informationen weder rar noch steuerbar. Daher ist eine zusätzliche Informationsvermittlung nicht zielführend, um definierte Bildungsziele zu erreichen. Im Vordergrund stehen neben den unverzichtbaren Grundfertigkeiten von Lesen, Schreiben und Rechnen die Vermittlung von Interpretationsfähigkeit unterschiedlichster Informationsformen.

Das sind grosse Heraus- und Anforderungen an die Schweizer Bildungslandschaft, die vielen Bürgern oft als «Bildungsdschungel» erscheint – ein Überblick fällt schwer, nicht zuletzt aufgrund der erwähnten Veränderungen. Zudem sind die aktuellen Entscheidungsträger und die bestehenden Institutionen ihrerseits Produkte des «alten» Bildungssystems. Das heisst: Nicht nur von uns Individuen, sondern auch von Anbietern von Bildungsangeboten sind geistige Flexibilität, Resilienz, Ausgeglichenheit und Innovation gefordert. Dabei sind Ungewissheit und Unwissen kein Makel – sondern ein Grundmerkmal unserer Gesellschaft. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine bildende Lektüre.

Zur Bildwelt des Magazins:
Wer findet sich zurecht im Bildungsdschungel?
Der Weg zum beruflichen Erfolg führt über eine gute Bildung. Das ist keine neue Erkenntnis und darüber sind sich Politik, Wissenschaft und Wirtschaft meist einig. Doch gibt es auch ein Zuviel an Bildung? Und herrscht in der Schweiz inzwischen ein undurchdringbarer Bildungsdschungel? Mit der Bildreihe dieser aktuellen zentralinfo-Ausgabe – übrigens mit KI-unterstütztem Grafikprogramm entworfen – werden zentrale Aspekte und Fragen zur Bildungslandschaft auf einer etwas anderen Ebene beleuchtet.

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