Zentralinfo 04/2024 «Handel»: Die USA und der neue internationale Handel

Zentralinfo 04/2024 «Handel»: Die USA und der neue internationale Handel

Für Unternehmerinnen und Konsumenten ist spürbar, dass Lieferketten nicht mehr zuverlässig funktionieren. Die USA suchen in einer sich verändernden globalen Handelswirtschaft den Faktor Sicherheitspolitik miteinzubauen. Kommt dies gut?

Es ist inzwischen nicht nur für Unternehmer, sondern auch für Konsumentinnen spürbar, dass Lieferketten nicht mehr zuverlässig funktionieren, politische Regulierungen sich verändern und juristische Abmachungen nicht mehr greifen. Auf den Prämissen der Marktlogik und des stetigen Wachstums haben die westlichen Staaten in den letzten Jahrzehnten eine Globalisierung vorangetrieben, die vornehmlich ihnen Nutzen brachte. Diese Gewissheiten stellt nun der nationale Sicherheitsberater der Biden-Administration, Jake Sullivan, in Frage. Dies ist bemerkenswert, da sich selten der oberste US-Sicherheitsberater in wirtschaftspolitische Themen einmischt.

Der internationale Handel muss auf die Sicherheitsdividende setzen
In einer Rede beim US-Think-Tank Brookings Institution im April 2023 betonte Sullivan selbstkritisch, dass die alten Grundregeln der Markteffizienz und des Washingtoner Konsenses keine inklusive Weltwirtschaft auf Augenhöhe zu schaffen vermochten. Dies führt dazu, dass aufstrebende Staaten, aber auch Industrienationen als Korrektiv zunehmend merkantilistische Prinzipien favorisieren – das heißt, dass ein Land viel exportiert und kaum importiert. In den USA soll diese Politik forciert werden, nicht um autark zu werden, sondern um die eigene Resilienz und Sicherheit der Handelsketten zu sichern. Das sei Außenpolitik für den Mittelstand, so Sullivan. Verlierer der Globalisierung sei innenpolitisch der Mittelstand, und dieser müsse wieder gestärkt werden. Diese Aussage war nicht einfach frühe Wahlkampfrhetorik, sondern zeugt von einem Umdenken: Wirtschaftspolitik ist Innenpolitik, und diese wird nun transparent mit Sicherheitspolitik verknüpft.

Selektive Partnerschaften
Dies führt unweigerlich dazu, dass die USA die Mittel der Weltpolitik neu ausloten. Dabei werden auch alte Bündnisse und Abmachungen infrage gestellt. Um vor allem die eigene Wirtschaft anzukurbeln und den eigenen Mittelstand wieder fit zu machen, basiert die Strategie darauf, dass die USA Industrieprogramme wie den Inflation Reduction Act (IRA) oder den Permitting Action Plan für die Klimawende lancieren, welche wiederum für die Umsetzung den internationalen Austausch und Handel benötigen. Nun wird aber nicht einfach mehr global gehandelt, sondern zunehmend selektiv mit ausgewählten Partnern. So setzen die USA bei Themen wie grüne Energie, Arbeitsrecht oder Lieferketten von kritischen Rohstoffen auf punktgenaue bilaterale Beziehungen.

Der neue Washingtoner Konsens
Konkret soll ein neuer Washingtoner Konsens geschaffen werden, der vor allem eine amerikanische Industriepolitik abbildet. Implizit geht es darum, die Abhängigkeit von Chinas zunehmender wirtschaftlicher und technologischer Dominanz abzubauen. Dabei wird als rhetorisches Mittel der Klimawandel ins Feld geführt und als Treiber für interne Industrieprojekte genutzt. Dieser Einblick zeigt, dass zumindest in der Industriepolitik auf strategischer Ebene keine großen Differenzen zwischen Demokraten und Republikanern existieren. Die US-Wirtschaftspolitik wird in Zukunft domestiziert und zunehmend von sicherheitspolitischen Impulsen gesteuert – unabhängig davon, wer die Wahlen gewinnen wird. Der neue Washingtoner Konsens wird ein selektiver Multilateralismus sein. Darauf wird sich auch die Schweiz einstellen müssen.

Autor:
Remo Reginold, Direktor Swiss Institute for Global Affairs

Zur Bildwelt des Magazins:
Ursprünglich stand der Handel exotischer Waren an der Luzerner Määs im Vordergrund. Verkäufer auf der Gotthard-Handelsroute zwischen Italien und Frankreich stellten ihre Stände auf und boten Waren aus aller Welt an. Ab dem 19. Jahrhundert wurden die Unterhaltung und das Vergnügen immer wichtiger. Schaubuden mit Musik und Fahrgeschäfte kamen auf und prägen seither das Bild. Dennoch kommen bis heute viele Händler mit exotischen Ess- und Handelswaren an die Määs und führen die alte Tradition fort. Einige von ihnen wurden an der diesjährigen Määs fotografiert und in dieser Ausgabe des «zentralinfo» in der Bildreihe publiziert.

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