Schweiz/Europa: Einmal Beziehungspflege bitte!

Schweiz/Europa: Einmal Beziehungspflege bitte!

57 Prozent aller Zentralschweizer Exporte gehen nach Europa. Der europäische Raum ist somit der mit Abstand wichtigste Handelspartner unserer Wirtschaftsregion. Grund genug sich für eine Deblockierung zwischen der Schweiz und der EU einzusetzen. Ein partnerschaftliches Verhältnis verhindert, dass bilaterale Verträge erodieren und weitere Handelshindernisse entstehen

Es wird viel politisiert, debattiert und kritisiert. Fakt ist: Zentralschweizer Unternehmen exportierten vor der Pandemie im Jahr 2019 Waren im Wert von 20.7 Milliarden Franken ins Ausland. Das entspricht über 30 Prozent der Wirtschaftsleistung in der Region gemessen am Bruttoinlandprodukt. Bei rund 57 Prozent der Exporte liegt das Zielland in Europa. Dieser Anteil ist signifikant höher verglichen mit dem gesamtschweizerischen Durchschnitt von 54 Prozent. Kurzum: Europa ist unser wichtigster Handelspartner

In der Zentralschweiz existieren aber grosse Unterschiede. Beispielsweise ist die Urner Wirtschaft äusserst europaorientiert. Neun von zehn im Ausland verdienten Franken stammen aus einem europäischen Land. Aber auch die Kantone Luzern (68 Prozent) und Obwalden (65 Prozent) sind überdurchschnittliche Handelspartner der EU.

Grösseres Handelsvolumen als mit China und Indien zusammen

Interessant sind auch Fälle, in denen die Wertschöpfungsketten so sehr integriert sind, dass Vorprodukte innert eines Tages die Grenzen mehrfach überqueren. Das ist aus geographischen Gründen fast ausschliesslich zwischen der Schweiz und ihren Nachbarregionen möglich. Dieser grenzüberschreitende Industrie-Hub im Alpenraum ist einer der produktivsten Regionen der Welt. Demensprechend wird auch viel untereinander gehandelt. Alleine die Schweiz unterhält mit den angrenzenden Landesteilen der benachbarten Länder ein Handelsvolumen – also Exporte plus Importe – von 81.6 Milliarden Franken. Das sind fast 225 Millionen Franken pro Tag damit beinahe doppelt so viel wie der Gesamthandel der Schweiz mit China und Indien.

Erfolgreiche Wirtschaftsräume brauchen einheitliche Spielregeln

Ein Erfolgsfaktor für ein solch effizientes Wirtschaftssystem ist die Übereinkunft zu gemeinsamen Standards. Hier spielt auch die sogenannte gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (Mutual Recognition Agreements, MRA) eine Rolle. Diese in den Bilateralen Verträgen festgesetzten Regelungen vereinfachen den Export so, dass in der Schweiz zertifizierte Produkte automatisch auch im gesamten EU-Binnenmarkt zugelassen sind. Die blockierten Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU führen aber dazu, dass die Bilateralen Verträge und somit auch die MRA erodieren. Das bedeutet, dass die branchenspezifischen MRA ihre Gültigkeit verlieren, wenn sektorielle Verordnungen angepasst werden. Jüngst ist diese gegenseitige Anerkennung im medizinaltechnischen Bereich weggefallen. Die EU-Kommission präsentierte kürzlich eine neue Bauprodukteverordnung. Das wird zur Folge haben, dass Zertifikate für Schweizer Bauprodukte in der EU nicht mehr als gleichwertig angesehen werden. Bereits dieses Jahr könnte in der EU eine revidierte Maschinengesetzgebung in Kraft treten. Ab 2024 würde also das MRA in diesem Bereich hinfällig. Maschinenexporte machen derweil fast einen Viertel der Luzerner Exporte aus.

Für die Unternehmen bedeutet der Wegfall eines MRA in der Praxis, dass zahlreiche Produkte zusätzlich in der EU von einer EU-anerkannten Zertifizierungsstelle zugelassen werden müssen. Zudem ist teilweise eine verantwortliche Person in der EU zu bestimmen. Investitionen und Arbeitsplätze fliessen damit in die Europäischen Niederlassungen von Schweizer Firmen und unser Land ist für Firmen aus Drittstaaten nicht mehr attraktiv. Die bereits angesprochene Medtech-Branche hat ihre ersten Erfahrungen gemacht. Sie rechnen neben einmaligen Kosten von einem wiederkehrenden Aufwand von zwei Prozent des Umsatzes. 

Fazit

Mittelfristig ist also die Standortattraktivität der Schweiz in Gefahr. Es ist Zeit, dass sich die Schweiz wieder auf die Beziehungspflege mit der EU fokussiert. Nur so können wir weiterhin Teil des erfolgreichen Binnenmarktes Europa bleiben. Grossfirmen, die bereits Niederlassungen in der EU haben sind nicht gezwungen Investitionen ausserhalb der Schweiz zu tätigen und kleine, auf den Schweizer Markt fokussierte Unternehmen, können ohne grosse bürokratische Hürden zu den nächsten Exporteuren werden.

Die grosse Europa-Debatte​

Am 31. Oktober 2022 diskutiert die Zentralschweiz Fragen zum Verhältnis der Schweiz mit der EU – konstruktiv, unterhaltsam und mit spannenden Gästen. Der Anlass wird organisiert von «stark+vernetzt» in Zusammenarbeit mit der economiesuisse, IHZ, HotellerieSuisse, Operation Libero und «Die Schweiz in Europa». Die Teilnahme ist kostenlos.

Wann: 31. Oktober 2022, 18 Uhr, Wo: Hotel Schweizerhof, Luzern

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