Zentralinfo 01/2024 «Kultur»: Fehlerkultur – Umgang mit Fehler in der Fliegerei

Zentralinfo 01/2024 «Kultur»: Fehlerkultur – Umgang mit Fehler in der Fliegerei

Menschen machen Fehler! Dies ist auch bei grösster Vorsicht in der besten Organisation und im modernsten Systemdesign nie auszuschliessen. Wie geht die Aviatik mit diesem Fakt um, wo doch gerade hier Fehler zu fatalen Folgen führen können?

Allgemein gilt in der Fliegerei das Motto «Safety first!». Vereinfacht heisst dies, dass ein (Flug-) Auftrag nicht ausgeführt wird, solange die sichere Durchführung fraglich ist. So trifft ein Operator eines Ferienfluges -trotz wirtschaftlichen Einbussen- Massnahmen bis hin zur Betriebsunterbruch, wenn die sichere Ankunft der Passagiere am Zielort z.B. aufgrund eines Sturms nicht garantiert ist. Auch wenn «Safety First» nur ein Slogan ist, so wird er doch sehr breit gelebt und zeigt deutlich den hohen Stellenwert von Sicherheit und der Minimierung von Risiken in der Luftfahrt.

Doch wie geht eine Organisation nun mit diesem Spannungsfeld um, in welchem Fehler -meist in einer Verkettung mehrerer Faktoren- zu unakzeptablen Folgen führen können und gleichzeitig eine grosse Anzahl Menschen immer wieder genau solche Fehler begehen?

Die Antwort heisst «Just Culture». In einer Just Culture wird der Grundsatz gelebt, dass nicht einfach die für den letzten Fehler in der Kette verantwortliche Person bestraft wird, sondern dass ständig nach Schwachstellen im eigenen System gesucht wird. Durch das präventive Finden und Eliminieren von Schwachstellen, bevor diese in einer unglücklichen Kombination zu einem Unfall oder Vorfall (Fast-Unfall) führen, wird eine Organisation effektiv sicherer.

Passiert nun einem Menschen in der Just Culture ein Fehler, so ist er angehalten dies zu melden. Dies eröffnet dem ganzen System die Chance zu lernen. Solche Meldungen sind absolut zentral und eine äusserst wichtige Informationsquelle auf der Suche nach Schwächen im eigenen System. Denn es ist relativ wahrscheinlich, dass ein passierter Fehler auch einer anderen Person unterlaufen wird. Damit ein Mitarbeiter aber einen Fehler überhaupt meldet, muss eine grundsätzliche Straffreiheit garantiert sein. Dies gilt insbesondere, wenn der Fehler ohne eigene Meldung gar nicht bekannt geworden wäre. Das ist zentral für eine funktionierende Just Culture. Diese Philosophie der Straffreiheit muss durch alle Hierarchiestufen bis zur Konzernleitung konsequent getragen und gelebt werden.

Eine Meldung innerhalb einer Just Culture kommt aber nicht ein Beichtstuhlgang mit automatischem und absoluten Sündenerlass für menschliches Fehlverhalten gleich. Vielmehr werden die gemeldeten Fehler objektiv beurteilt und eingeordnet (siehe Abbildung). Insbesondere vorsätzliches, missbräuchliches und wiederholtes Fehlverhalten wird nicht toleriert und entsprechend geahndet. Die Just Culture akzeptiert somit nicht einfach pauschal jeden Fehler. Es wird einzig der Fakt akzeptiert, dass auch dem intelligentesten, aufmerksamsten, am besten selektionierten und ausgebildeten Menschen Fehler passieren können - selbst bei bester Absicht.

Eine lernende Organisation ist davon abhängig, dass ihre Mitarbeiter Fehler melden. So kann die Organisation Schwachstellen im Sicherheitssystem präventiv eliminieren und die Kollegen aus den Erfahrungen anderer lernen, ohne denselben Fehler selbst zu machen und womöglich einen Unfall zu erleiden. Die grundsätzliche Straffreiheit in einer gelebten Just Culture ist eine zwingende Voraussetzung damit Menschen ihre eigenen Fehler überhaupt melden und trägt damit wesentlich zur Verbesserung der Sicherheit im Betrieb bei.

Gesamtausgabe «zentralinfo» 01/2024 (PDF)

Artikel von: Simon Waldis, Factory Test Pilot, Pilatus Aircraft Ltd, im Cockpit eines PC-21

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