Zentralinfo 04/2023 «Sicherheit»: Artikel von Prof. Dr. iur. Klaus Mathis
Rechtssicherheit
Rechtssicherheit ist eine wichtige Voraussetzung für eine funktionierende Wirtschaft. Sie stellt sicher, dass Unternehmen ihre Investitionen planen und durchführen können, ohne unerwartete rechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen.
Die rechtliche Bedeutung von Rechtssicherheit besteht darin, dassIndividuen und Unternehmen ihre Rechte und Pflichten verstehen und sich entsprechend verhalten können. Dies erfordert, dass Gesetze klar und präzise formuliert sind, so dass deren Folgen vorhersehbar sind. Dadurch schafft Rechtssicherheit Vertrauen und Stabilität in der Gesellschaft.
Rechtssicherheit als Grundlage wirtschaftlichen Handelns
Die Rechtssicherheit bildet auch ein wichtiges Fundament wirtschaftlichen Handelns. Unternehmen müssen sich auf klare und stabile rechtliche Rahmenbedingungen verlassen können, um Investitionen zu tätigen, Verträge abzuschliessen und langfristige Geschäftsstrategien zu entwickeln. Fehlen diese stabilisierenden Rahmenbedingungen, zögern Unternehmen aufgrund der unvorhersehbaren Folgen, in neue Projekte zu investieren.
Zur Rechtssicherheit gehört insbesondere auch, dass die Vermögenswerte der Wirtschaftsakteure vor Diebstahl und unrechtmässiger Enteignung geschützt sind. Wenn zudem die Rechte der Unternehmen nicht wirksam geschützt sind, werden sie weniger Forschung und Entwicklung betreiben. Dasselbe gilt für vertragliche Beziehungen: Rechtssicherheit gewährleistet, dass Verträge als verbindlich anerkannt werden und im Streitfall durchgesetzt werden können.
Auch für die internationale Wirtschaft ist Rechtssicherheit von entscheidender Bedeutung. Länder mit hoher Rechtssicherheit ziehen mehr ausländische Investitionen an, was zu Wachstum und Entwicklung führt. Rechtsunsicherheit hingegen schreckt ausländische Investoren ab. So führte beispielsweise die Ablehnung des EWR-Beitritts zu einer grossen Verunsicherung hinsichtlich der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und ihrer europäischen Wirtschaftspartner, die erst mit den bilateralen Verträgen mit der EU wieder beseitigt werden konnte. Die aktuelle unklare Situation betreffend das Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU schafft hingegen erneut Rechtsunsicherheit.
Was gefährdet die Rechtssicherheit?
Die Schweiz gilt dank ihrer politischen Stabilität und ihren gut funktionierenden Institutionen traditionell als ein Land mit hoher Rechtssicherheit. Allerdings gibt es auch bei uns Entwicklungen, welche die Rechtsicherheit gefährden. Neue und mehr Regulierungen in immer kürzeren Abständen führen dazu, dass Unternehmen zunehmend mit Rechtsunsicherheit konfrontiert sind. Dieser Aktivismus des Gesetzgebers hat verschiedene Gründe: Häufig zwingen rasche technologische Entwicklungen, insbesondere im Zuge der Digitalisierung, zur Schaffung neuer Rechtsgrundlagen oder zur Anpassung geltender Gesetze. Zur Beschleunigung der Gesetzgebung hat auch die Globalisierung der Wirtschaft beigetragen, die ständig Anpassungen an neue internationale Standards erfordert. Schliesslich ertönt gerade auch in Krisenzeiten vermehrt der Ruf nach dem Gesetzgeber.
Gute Gesetzgebung zeichnet sich dadurch aus, dass sie einfach, verständlich und praktikabel ist und gleichzeitig die gewünschten Wirkungen erzielt. Dabei müssen auch die Auswirkungen auf die Wirtschaft beachtet werden. Aus diesem Grund kennt die Schweiz auf Bundesebene das Instrument der Regulierungsfolgenabschätzung (RFA). Diese umfasst die folgenden fünf Prüfpunkte:
- Notwendigkeit und Möglichkeit des staatlichen Handelns
- Alternative Handlungsoptionen
- Auswirkungen auf die einzelnen gesellschaftlichen Gruppen
- Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft
- Zweckmässigkeit im Vollzug.
Unter dem Blickwinkel der Rechtssicherheit ist vor allem der letzte Prüfpunkt von Interesse. Denn hier geht es nicht nur um den Vollzug der Gesetze durch den Staat, sondern auch um die Auswirkungen auf die von der Regelung betroffenen Privaten. Regulierungen konfrontieren diese nämlich verschiedenen Kosten: Administrative Kosten (Informationskosten, Ausfüllen von Formularen usw.), Kosten für die Einhaltung der Regelungen (z.B. Änderung der Herstellungsprozesse) sowie Kosten im Zusammenhang mit der Einschränkung des Handlungsspielraums (Verbot von Tätigkeiten, prohibitive Auflagen). Insbesondere für die KMU stellen die administrativen Kosten im Verhältnis zum Umsatz einen erheblichen Kostenfaktor dar.