Zentralinfo 04/2023 «Sicherheit»: Editorial Adrian Derungs
Die neuste Ausgabe unseres Mitgliedermagazins «zentralinfo» liegt vor! Wir nehmen die Vorsorgevorlagen im Jahr 2024 als Anlass, die neuste Zentralinfo-Ausgabe dem Thema «Sicherheit» zu widmen.
Der lateinische Begriff «securitas» (se= ohne, cura=Sorge) beschrieb einen Seelenzustand frei von Schmerzen, der als Grundvoraussetzung für ein glückliches Leben galt. Von diesem Sicherheitsverständnis hat sich die westliche Gesellschaft verabschiedet.
Es stehen nicht mehr nur Gefahren für Leib und Leben, sondern auch militärische, ökonomische, ökologische und humanitäre Sicherheitsfragen auf der politischen Agenda. Auch die räumliche Wirkung hat sich ausgeweitet: von lokalen zu globalen Sicherheitsfragen. So beschäftigen uns tragische Konflikte wie in der Ukraine oder im Nahen Osten ebenso wie Pandemien, Klima-, Energie-, Migrations- und Inflationskrisen bis hin zur Cyberkriminalität und globalen Wirtschaftskriegen. War die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts von einer grossen Portion Sorglosigkeit und von Zukunftsoptimismus geprägt, so entwickelt sich der Sicherheitsbegriff in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts zum Star der Megatrends.
Im Gleichschritt wachsen auch die systematischen Bemühungen für mehr Sicherheit. Hinzu kommt, dass wir im Vergleich zu früher mehr Probleme als sicherheitsrelevant einschätzen und sich viele Menschen zunehmend verunsichert fühlen. Die Zahlen zeigen jedoch in vielen Bereichen ein anderes Bild: Viele Indikatoren belegen, dass wir in der Schweiz faktisch in der sichersten aller Zeiten leben. Im Vergleich zu den Zuständen vor hundert Jahren haben wir bei der physischen Sicherheit, dem Schutz vor Krankheiten und Gesundheitsrisiken, der wirtschaftlichen oder sozialen Sicherheit deutliche Verbesserungen erzielt. Woher stammt dann die subjektive Verunsicherung trotz objektiver Sicherheit? Einerseits nehmen wir aufgrund der hohen Sicherheitsstandards kleinste Abweichungen viel intensiver wahr. Andererseits beeinflusst die oft negativ gefärbte Informationsflut in klassischen und sozialen Medien unser Sicherheitsempfinden.
Eine Antwort auf das erhöhte Sicherheitsbedürfnis entpuppt sich zunehmend als Sackgasse: mehr Regulation, mehr Überwachung, mehr Verbote, mehr Bürokratie. Diese Massnahmen wirken nach der Verwirklichung eines Risikos wie ein aussichtsloser Versuch, mit allen möglichen Mitteln ein unvorhersehbares Ereignis schadlos überstehen zu wollen. Wenn wir nur noch Risiken vermeiden, verlieren wir im gleichen Mass unsere Freiheit. Ein selbstbestimmtes Leben und eine freiheitliche, marktwirtschaftliche Gesellschaft sind nicht vereinbar mit einer risikobefreiten Realität. Übertriebene Sicherheitsbedürfnisse sind nur mit der Aufgabe von Eigenverantwortung und Unternehmerischem Risiko erfüllbar. So opfern wir auf dem Altar der Sicherheit den demokratischen Rechtsstaat und erhalten einen totalitären Überwachungsstaat.
Stärken wir besser unsere Widerstandskraft. Anstatt endloses Streben nach Sicherheit gilt es Unsicherheit als Chance zu sehen. Gefragt ist daher Kompetenz im Umgang mit Unsicherheit. Was uns als Bedrohung erscheint, sind meist Veränderungen, die wir beeinflussen können. Wer sich in Sicherheit wiegen will, verschläft das Leben oder wacht als Gefangener auf.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine anregende Lektüre und einen entspannten Umgang mit Unsicherheiten.