Zentralinfo 04/2023 «Sicherheit»: Interview Jonas Boesiger
Der Schwyzer Profi-Snowboarder Jonas Boesiger gehört zu der Weltelite in den Disziplinen Snowboard Slopestyle und Big Air. Mit uns sprach er über die Bedeutung von Sicherheit in einer Risikosportart. Weiter teilte der 28-Jährige seine Faszination für sein Hobby Basejumpen mit uns.
Sie sind seit 2015 Profisportler in den Disziplinen Snowboard Slopestyle und Big Air – einer Risikosportart. Welchen Stellenwert hat Sicherheit in Ihrem Sportleralltag?
Ich ziehe gerne einen Vergleich zum Marathon. Wenn man heute zum ersten Mal fünf Kilometer läuft, wird man morgen sicherlich noch keinen Marathon bewältigen können. Es erfordert eine umfangreiche Vorbereitung und viel Training, um erfolgreich einen Marathon zu absolvieren. Genauso verhält es sich beim Snowboarden. Auf den ersten Blick sieht man nur die atemberaubenden Tricks. Doch dahinter verbirgt sich jahrelanges Training und Vorbereitung. Sicherheit und das Eingehen eines kalkulierten Risikos stehen beim Snowboarden an oberster Stelle. Ich liebe das, was ich tue, und möchte es so lange wie möglich ausüben können. Zu viel Risiko kann zu Verletzungen führen. Andererseits ist es notwendig, ein gewisses Risiko einzugehen, um mich in meinem Sport zu verbessern. Das Verhältnis zwischen Risiko und Sicherheit ist daher stets ein schmaler Grat. Dennoch bleibt beim Ausüben einer solchen Sportart immer ein gewisses Restrisiko, dessen bin ich mir bewusst. Im Alltag lässt sich dieses Restrisiko ebenfalls nie völlig eliminieren. Jedes Mal, wenn man als Fussgänger eine Strasse überquert, besteht das Restrisiko, von einem Fahrzeug erfasst zu werden.
Sie sprechen das Training an. Sie stehen seit Ihrem siebten Lebensjahr auf dem Brett. Wie haben sich die Trainingsbedingungen punkto Sicherheit verändert?
Das Training hat sich vor allem im Sommer erheblich verändert. Während des gesamten Sommers trainiere ich mit der Schweizer Nationalmannschaft auf einer sogenannten Airbag-Anlage. Dabei handelt es sich um eine Schanze, auf der mit einer Art Teppich Schnee simuliert wird. Die Landung erfolgt auf einem gigantischen Luftkissen. Auf diesen Anlagen können wir neue Tricks einstudieren und bestehende perfektionieren, ohne ein grosses Verletzungsrisiko einzugehen. Das hat die Sportart auf eine gewisse Art sicherer gemacht. Allerdings ist dies ein zweischneidiges Schwert. Einerseits erleichtert es das Erlernen und Üben solch hochkomplexer Tricks erheblich. Andererseits müssen diese sehr technischen Tricks dann auf echtem Schnee umgesetzt und am Wettkampf gezeigt werden, was ein erhöhtes Risiko mit sich bringt.
Als Hobby sind Sie leidenschaftlicher Base-Jumper – eine Hochrisikosportart. Planbare Sicherheit ist kaum möglich. Was fasziniert Sie daran?
Als ich zum ersten Mal erfuhr, dass so etwas möglich ist und wie viele schöne Sprünge ganz in meiner Nähe existieren, war ich restlos fasziniert und wusste, dass ich das unbedingt machen wollte. Wenn du jemandem vor 100 Jahren erzählt hättest, dass du einen Berg drei Stunden lang hinauflaufen kannst, oben einen Nylonanzug anziehst und innerhalb von nur zwei Minuten wieder am gleichen Ort landest, wo du gestartet bist, hätte er dich wahrscheinlich nur kopfschüttelnd angesehen. Das Faszinierendste am Springen ist für mich der sogenannte Flow-Zustand. In diesem Moment existiert weder ein Gestern noch ein Morgen; das Einzige, was zählt, ist das Hier und Jetzt. 20 Sekunden können wie eine Ewigkeit erscheinen, und ich habe schon mehrmals alles in Zeitlupe wahrgenommen.
Sie mögen den Ausdruck «Adrenalinjunkie» nicht. Weshalb?
Adrenalin ist das Letzte, was ich mit meinen ausgeübten Sportarten anstrebe. Ein Adrenalinschub tritt auf, wenn etwas schief läuft. Der Körper schüttet Adrenalin aus, um den Organismus auf «fight, flight or freeze» vorzubereiten. Wenn du plötzlich in der Wildnis von einem Bären angegriffen wirst, stehen dir diese drei Optionen zur Verfügung: kämpfen, flüchten oder sich totstellen. Dies ist eine wichtige Reaktion des sympathischen Nervensystems auf Stress und Gefahren. Als Sportler erlebe ich Adrenalin in Wettkampfsituationen oder unmittelbar bevor ich einen schwierigen und technisch anspruchsvollen Trick mache. Das Adrenalin hilft mir, meine Leistungsfähigkeit zu steigern, indem es mehr Sauerstoff und Nährstoffe zu den Muskeln transportiert. Allerdings fühlt es sich nicht angenehm an, und ich bin keineswegs süchtig danach. Als Spitzensportler strebe ich nach dem Gefühl von Kontrolle. Ich möchte, wie bereits beschrieben, einen Flow Zustand erleben. Während und nach einem Flow-Zustand werden Hormone wie Dopamin und Endorphine freigesetzt. Diese fühlen sich im Gegensatz zu Adrenalin äusserst angenehm an.
Sie waren an den Olympischen Spielen 2018 in Pyeongchang und 2022 in Peking mit dabei. Was sind Ihre nächsten grossen Ziele?
Das nächste grosse Ziel ist die Heimweltmeisterschaft 2025 auf dem Corvatsch. Bis dorthin möchte ich bei den Weltcups vorne mitfahren und Podestplätze erzielen. Neben den Wettkämpfen möchte ich neue Tricks erlernen, Spass am Snowboarden haben und gesund und ohne Verletzungen durch die Saisons kommen.