Geschäftslage Zentralschweiz: Rückblick und Aussicht
Die Auftragslage für Zentralschweizer Unternehmen wird sich im Geschäftsjahr 2023 verschlechtern – jedoch nur im Vergleich zum Rekordjahr 2022.
Selten standen die wirtschaftlichen Akteure vor so einer Häufung gleichzeitiger Herausforderungen. Trotz Krieg in der Ukraine, anhaltenden Lieferschwierigkeiten, Arbeitskräftemangel und Energiesorgen sind die Zentralschweizer Unternehmen sehr zufrieden mit dem Geschäftsjahr 2022 – einige verbuchen gar Rekordergebnisse. Im laufenden Jahr werden die Aufträge zurückgehen. Dennoch deuten die Zeichen auf ein leichtes Wirtschaftswachstum in der Zentralschweiz hin.
Die Zentralschweizer Wirtschaft erholte sich von den wirtschaftlichen Effekten der Covid-Krise schneller als der gesamtschweizerische Durchschnitt wie in der Grafik zum Geschäftslageindikator der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich zu erkennen ist. Unternehmen in der Region nahmen die Geschäftslage positiver war. Diese überdurchschnittliche Einschätzung der Geschäftslage im Vergleich zum Rest der Schweiz relativierte sich aber im Laufe des Jahres 2022. Zum Jahresstart 2022 kämpften einzelne Branchen wie der Tourismus noch mit letzten wirtschaftlichen Nachwirkungen der Pandemie. Ebenfalls in der Grafik zur Geschäftslage zu erkennen sind die Unsicherheiten infolge des Angriffs Russlands auf die Ukraine im Frühjahr 2022.
Dennoch setzte insbesondere der verarbeitende Sektor zur Jahreshälfte zu einem Höhenflug an. Der Geschäftslageindikator erreichte im Juni 2022 den höchsten Wert seit über zehn Jahren. Einerseits führten Nachholeffekte des tiefen Konsums während der pandemiebedingten Einschränkungen zu vollen Auftragsbüchern. Andererseits zogen Händler und Zwischenverarbeiter Lehren aus den Lieferkettenproblemen und erhöhten ihre Lagerbestände. Dies wirkte sich zusätzlich positiv auf das Auftragsvolumen aus. Dieses Hoch der Auftragslage führte bei zahlreichen Unternehmen zu einem Rekordjahr, obwohl im Laufe des zweiten Halbjahres die Geschäftslage von den Unternehmen in der Region Zentralschweiz deutlich weniger optimistisch eingeschätzt wurde.
Weltweit überraschend hohe Inflationsraten, ein rekordstarker Franken, Unsicherheiten über Energiekapazitäten im Winter und hohe Energiepreise drückten die Stimmung. Unternehmen in der Industrie und im Grosshandel standen vor höheren Material- und Transportkosten von bis zu fünfzig Prozent, von denen nur ein Teil an die Kundschaft weitergegeben werden konnte. Dieser Margendruck aufgrund von hohen Personal- und Energiekosten setzte auch der Gastronomie und Hotellerie zu.
Zentralschweizer Unternehmen haben im vergangenen Jahr dennoch viele neue Stellen geschaffen. Eine Mehrheit der Unternehmen hat ihren Personalbestand stark vergrössert, sodass sich der Arbeitskräftemangel weiter akzentuierte. Arbeitsstellen über alle Qualifikationsniveaus hinweg blieben unbesetzt. Das hatte auch zur Folge, dass Unternehmen Projekte zurückstel-len mussten oder Kapazitätserweiterungen für die Bedienung der hohen Nachfrage nicht umgesetzt werden konnten.
Verhalten optimistische Aussicht für das Jahr 2023
Die aufgestauten Aufträge werden allmählich abgearbeitet. Dies kompensiert den sinkenden Auftragseingang noch einige Zeit. Insbesondere in der Europäischen Union leiden Unternehmen und Konsumentinnen unter den Energiepreisen und Kaufkraftverlusten. Der wichtigste Exportmarkt der Schweiz wird auch die Wirtschaftslage in der Schweiz dämpfen. Der negative Trend der Geschäftslage wird in den ersten zwei Quartalen anhalten. Sofern in den Wintermonaten keine akute Energiemangellage eintritt, wird sich die Geschäftslage in den Wintermonaten leicht abkühlen, aber bereits ab dem dritten Quartal 2023 wieder auf dem langjährigen Mittelwert einpendeln. Falls Gas, Öl und Strom fehlen, kann eine Rezession nicht ausgeschlossen werden. Auf der positiven Seite rückt der starke Dollar Amerika für Exportmöglichkeiten in den Fokus. Mit weiteren Öffnungsschritten in China werden auch die asiatischen Märkte wieder attraktiver, auch wenn damit ein zusätzlicher Kostendruck auf Energieträger einhergeht. Die Lieferkettenproblematik wird sich auch in den nächsten Monaten weiter entspannen. Die Zentralschweizer Wirtschaft hat sich insbesondere mit weitsichtigen Investitionen, guten Beziehungen und viel Innovationskraft eine solide Ausgangslage erarbeitet. Trotz erwartetem Wirtschaftsabschwung wollen Zentralschweizer Unternehmen ihren Personalbestand vergrössern – sofern sie Fachkräfte finden.
Überraschungen bei der Energiesparkampagne
Energie ist einer der wichtigsten Inputfaktoren für die Wirtschaft. Im gegenwärtigen Umfeld beschäftigen rekordhohe und volatile Energiepreise sowie das Risiko einer Mangellage die Unternehmen. Die Zentralschweizer Wirtschaft hat sich aber eine gute Ausgangslage erarbeitet. Die grossen Investitionen in moderne, energieeffiziente Anlagen, nachhaltige Bauten und alternative Energiequellen wie Photovoltaik über die letzten Jahre tragen nun Früchte. Mit rasch eingesetzten Task-Forces konnten weitere, kurzfristige Massnahmen umgesetzt werden. Einige Unternehmen waren überrascht, dass trotz bereits energieeffizienten Produktionsprozessen mit zusätzlichen Verbrauchsoptimierungen, Beleuchtungsanpassungen und energietechnischen Verbesserungen bis zu weiteren zehn Prozent Energie eingespart werden konnten. Global tätige Unternehmen stellen aber vermehrt Wettbewerbsverzerrungen im internationalen Wettbewerb fest. Die Energiekrise ist hauptsächlich ein europäisches Problem, von dem andere Weltregionen weniger betroffen sind. Zudem stellen umfangreiche Hilfspakete in verschiedenen Europäischen Ländern ihre Industrie besser - zum Nachteil der Schweiz.
Erhöhter Regulierungsdruck, Stillstand in der Europapolitik und Personalnot verschiebt Investitionen ins Ausland
Die Unternehmen nehmen zuweilen einen erhöhten Regulierungsdruck war. Vorgaben für Produkte, Auflagen für Prozesse und bürokratische Prozesse führen bei den Unternehmen zu signifikanten Mehraufwänden. Beispielsweise ist der administrative Aufwand bei öffentlichen Ausschreibungen sowie bei Bauvorhaben stark gestiegen. Besonders schwer umzusetzen sind Bauinvestitionen in der Schweiz. Aufgrund von kurzfristigen, teilweise widersprechenden Auflagen dauern Bauprojekte mehrere Jahre. Da Sicherheiten fehlen und bauliche Erweiterungen somit teurer werden, nimmt die Bereitschaft für Investitionen ab.
Investitionshemmend wirkt sich auch das ungeklärte Verhältnis zur Europäischen Union aus. Aufgrund des gescheiterten Rahmenabkommens werden laufen gegenseitige Anerkennungen von Konformitätsbewertungen (auch Mutual Recognition Agreements MRA genannt) aus. Insbesondere der in der Zentralschweiz stark vertretenen Maschinenindustrie und Bauproduktebranche bereiten ihre auslaufenden branchenspezifischen MRA Sorgen. Schliesslich spricht der Arbeitskräftemangel ebenfalls gegen einen attraktiven Wirtschaftsstandort Zentralschweiz. Da weiterhin geburtenstarke Jahrgänge das Rentenalter erreichen und auch das umliegende Ausland von diesem demographischen Trend betroffen ist, bleibt der Arbeitskräftemangel trotz sich abschwächender Wirtschaft bestehen. Wichtig ist es deshalb das Arbeitskräftepotential auszuschöpfen, das Staatswachstum zu bremsen und wichtige Mobilitätsinfrastrukturprojekte in der Region umzusetzen.
Geschäftslage nach Branchen
Die Geschäftslage bei Industrieunternehmen wurde bis im Juli 2022 ähnlich wie im Durchschnitt der Zentralschweizer Gesamtwirtschaft wahrgenommen. Danach verfolgte die Kurve einen leicht nega-tiveren Trend. Trotz Fachkräftemangel, Energierisiken und Lieferkettenproblematik nimmt eine Mehrheit der Industrieunternehmen die Geschäftslage als positiv war. Insbesondere im letzten Monat konnte aufgrund der tieferen Energiekosten und der Öffnung Chinas eine Entspannung beobachtet werden. Das Baugewerbe befindet sich nach wie vor in einer äusserst guten Geschäftslage. Im Gegensatz zu fast allen anderen Sektoren scheint der Höhepunkt des wirtschaftlichen Aufschwungs noch nicht ganz überschritten. Der Unterschied zwischen den positiven und negativen Antworten beträgt branchenweit fast 60 Prozent. Der Bereich Projektierung –ein Vorbote des Baugewerbes – wurde im ganzen Jahr 2022 ebenfalls signifikant überdurchschnittlich gut wahrgenommen, verfolgt seit Sommer aber einen negativen Trend. Die Geschäftslage im Grosshandel wurde im ersten Halbjahr 2022 äusserst positiv wahrgenommen, im September folge eine starke Kurskor-rektur. Die Geschäftslage in der Branche ist aber nach wie vor überdurchschnittlich.
Die Wahrnehmung der Geschäftslage im Finanzsektor sank über das ganze Jahr beträchtlich. Empfanden im Oktober 2021 noch ausschliesslich alle befragten Unternehmen im Finanzsektor die Geschäftslage als gut, so wurde die Geschäftslage im Oktober 2022 als überwiegend schlecht wahrgenommen. Gründe dafür sind das schwierige Börsenjahr sowie von den Umwälzungen im Krypto-Markt betroffene Firmen. Ein Grossteil der Versicherungen und Banken schätzen die Marktlage trotz strikter Zinspolitik der Nationalbank als positiv ein. Einen gegensätzlichen Trend verfolgte das Gastgewerbe. Nach noch harzigem Winter und Frühjahr erreichte die Kurve Ende Oktober 2022 einen überdurchschnittlichen Wert im Vergleich zur Zentralschweizer Wirtschaft. Im Folgemonat lag die Wahrnehmung wieder unter dem Durchschnitt. Der Detailhandel schätzte die Geschäftslage über das ganze Jahr stabil aber leicht unterdurchscnittlich ein. Die Geschäftslage bei den übrigen Dienstleistungsbetrieben scheint sich über das Jahr stetig verbessert zu haben. Der Höhepunkt des Aufschwungs ist im Gegensatz zur gesamtwirtschaftlichen Betrachtung wohl noch nicht überschritten.
Zur Befragung:
Die Industrie- und Handelskammer Zentralschweiz IHZ führt jeweils zu Beginn des Jahres Gespräche mit Ihren Vorstandsmitgliedern, den Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer der grössten Zentralschweizer Unternehmen. Dabei werden strukturierte Fragen zur Geschäftslage des vergangenen sowie zu den Erwartungen für das laufende Geschäftsjahr diskutiert. Gezielte Fragen zu aktuellen Herausforderungen wie Aussenhandel, Fachkräftemangel, Lehrlingswesen sowie praktische Erfah-rungen mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen erlauben es, allgemeine Problemfelder der Zentralschweizer Wirtschaft zu eruieren und Lösungsansätze zu bieten.
Für unterstützende Daten wird die Unternehmensumfrage «Geschäftslageindikator» der KOF Kon-junkturforschungsstelle der ETH Zürich beigezogen. Die KOF Geschäftslage verdeutlicht die augen-blickliche Situation der Unternehmen. In der Umfrage werden die Unternehmen gebeten, ihre Ge-genwärtige Geschäftslage zu beurteilen. Sie können die Lage mit «gut», «befriedigend» oder «schlecht» bezeichnen. Der Saldowert der gegenwärtigen Geschäftslage ist die Differenz der Prozentanteile der Antworten «gut» und «schlecht». Die Zeitreihen sind saisonbereinigt. Die Umfrage wird in den Branchen Gastgewerbe, Grosshandel und verschiedene Dienstleistungen quartalsweise erhoben, in den übrigen Branchen monatlich.
Für Fragen und Anmerkungen: